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galerie isabella lanz / artstation - zürich (10. märz - 14. april 2012, mit margrit schärli)

einführung von adrian bättig, künstler und kunsthistoriker

Ausstellung „Margrit Schärli – Objekte und Roland Schär – Zeichnungen“

Konstellationen

Sechs Beobachtungen zum Werk von Margrit Schärli und Roland Schär

Liebe Vernissagebesucherinnen und –besucher
Ich möchte Sie ganz herzlich zur Eröffnung der Ausstellung mit Objekten und Zeichnungen von Margrit Schärli und Roland Schär begrüssen und nehme die Gelegenheit wahr,  zu diesem Anlass ein paar einführende Worte zu sagen. Als Kunsthistoriker und Künstler kenne ich beide Seiten einer künstlerischen Arbeit: Arbeit als Werk, das von aussen betrachtet und interpretiert wird und Arbeit als Prozess, der das eine mal ganz leicht von der Hand geht und das nächste Mal mit grossem Ringen verbunden ist. Ich möchte im Folgenden von einigen Beobachtungen zur Arbeit der beiden Kunstschaffenden berichten, die den Fokus auf den Prozess legen und mich damit mehr zum interessierten Beobachter als zum Interpreten ihrer Werke machen. In dieser Rolle bin ich ihnen nämlich auch bisher begegnet – als Künstlerkollege in Zürich und ein paar Mal in Paris.

Laos oder die Poesie des Papiers
Die beiden Kunstschaffenden mit den ähnlichen Namen kennen sich seit rund 30 Jahren. Gefragt nach einem gemeinsamen Ausgangspunkt nennen beide ihre Zusammenarbeit in Laos, die so zustandkam, dass Roland Schär im Jahr 2005 Margrit Schärli zu einem Auftenthalt in diesem Land einlud. Beiden gefiel dort die symphatische, ruhige und hilfsbereite Art der Menschen und beide liessen sich vom Papier anregen, das dort oft noch von Hand geschöpft und zum Beispiel aus dem Holz des Maulbeerbaums hergestellt wird. Generell hat Papier in Laos einen viel exklusiveren Charakter als bei uns, es gibt kaum Zeitungen und (gedruckte) Werbung. Dafür wird es zum Beispiel für Totenrituale mit leuchtend-farbigen buddhistischen Schriftzeichen versehen und verbrannt. Etwas von diesem poetischeren, umsichtigeren Umgang mit Papier, scheint mir, ist auch auf die Arbeit der beiden Kunstschaffenden übergegangen, indem dieses bei Ihnen ein vielfältig eingesetztes Grundmaterial oder ein kostbar gewordener Träger von komplexen Bildfindungen ist.

Zwischenkartons
Wenn wir uns zunächst der Arbeit von Margrit Schärli zuwenden, so fällt uns auf, dass sie neben den angekündigten Objekten im Untergeschoss auch kleine Zeichnungen präsentiert, die zu Büchlein gebunden sind oder als eine Art Karteikarten in Boxen gestellt werden – sie nennt sie „Zwischenkartons“. Zu sehen sind darauf Strukturen, Texturen oder raumartige Gebilde – und ich bin froh, dass diese Arbeiten zu sehen sind. Sie zeigen nämlich sehr schön, wie die Künstlerin ihre Objekte entwickelt. Sie denkt gewissermassen von Anfang an in Konstellationen: man sieht in ihren Zeichnungen kaum je ein Einzelobjekt, vielmehr zeigen sie immer schon verschiedene bildnerische Elemente auf einer Fläche, beziehungsweise in einem angedeuteten Raum kombiniert. Im Unterschied zu den Objekten entstehen diese Zeichnungen aber sehr beiläufig und sind eigentlich nicht zum Ausstellen gedacht. Die Künstlerin schreibt auf einem Blatt einmal sinngemäss, sie seien Produkte von schlaflosen Nächten und verträumten Tagen. Und so präsentieren sie sich auch: nonchalant und gleichzeitig als äusserst anregende Szenarien für kommende dreidimensionale Gestaltungen.

Maritime Formen
Ihr gegenüber beginnt Roland Schär in einem gewissen Sinn umgekehrt. Er ist ein Künstler, der viel reist und nur vorübergehend hier in Zürich ist. Er lebt normalerweise in Paris und war immer wieder für längere Zeit in fernöstlichen Ländern. Zum Reisen gehört für ihn wesentlich das wochenlange Skizzieren, Aufnehmen und Festhalten von Eindrücken. Er legt sich, ebenfalls zeichnerisch - aber von der Aussenwelt inspiriert, einen Fundus an, aus dem  er seine weitere Arbeit entwickelt. Dabei sind es weniger Strukturen, die bei ihm als erstes auftauchen als vielmehr biologische und maritim anmutende Formen und Gebilde, die an Korallenbruchstücke, Muscheln, Schwemmgut oder Uferlandschaften erinnern.
Der zweite Schritt im Schaffen des Künstlers geschieht mit dem Scanner: die vielfältigen Zeichnungen werden eingelesen und gleichsam in einen virtuellen Formenschatz überführt. Danach beginnt die Arbeit am Computer: Der Künstler vergrössert, verkleinert, verformt und verfärbt sein Zeichnungsmaterial mittels subtraktiver Farbmischungen und fügt es zu immer neuen, überraschenden Kombinationen. Er nutzt die gestalterischen Möglichkeiten, die der Computer bietet, aus und verwirrt uns gleichzeitig damit. Denn es können in seiner Arbeit scheinbar computererzeugte Elemente durchaus von Hand ins Bild gesetzt worden sein oder, umgekehrt, etwas dem Anschein nach Handgefertigtes kann dem Computergriffel entstammen und damit die Frage nach der „Wirklichkeit“ einer Zeichnung provozieren. Zeichnung ist in dieser Arbeit ein völlig offener Prozess, der oft ohne Projekt geschieht und ein Medium, das sich zwischen Hand und Computer ständig neu erfindet. Man kann diesen Prozess auch als eine Fortsetzung der mechanischen Druckexperimente abstrakter Künstler des 20. Jahrhunderts sehen – von den Abklatschverfahren der Surrealisten bis zu den Siebdruckleinwänden der Pop-Künstler. Roland Schär experimentiert wie  sie mit den Möglichkeiten der Überlagerung diversester Bildemente, aber er braucht dafür anstelle einer ganzen Werkstatt nur noch einen Drucker, der seine Daten möglichst präzis aufs Papier bringt.

 

Exotismen
Wenn wir nach diesen Ausführungen zur Entstehung der Werke der beiden Kunstschaffenden, beziehungsweise zu den ersten Arbeiten, nun die eigentlichen „Objekte und Zeichnungen“ ins Auge fassen, die hier zu sehen sind, so fallen Margrit Schärlis dreidimensionale Beiträge durch ihre starke physische Präsenz und emotionale Ausstrahlung auf. Ich meine damit die Assoziationen, die diese Arbeiten abrufen: man fühlt sich erinnert an insektenhaftes Getier, aber auch an Kunstwerke aus afrikanischen oder ozeanischen Kulturen, die gleichzeitig etwas Anziehendes und Befremdendes haben. Man hört förmlich das Sirren, das Insektenschwärme in grosser Zahl erzeugen können oder den Schlag der Trommel, der der Tänzerin im fantastischen Rock den Takt angibt – und denkt, wie vorhin, an eine Tradition, nur diesmal inhaltlich: vor gut 100 Jahren hat die Berührung vieler europäischer Künstler mit exotischen Motiven den Beginn der abstrakten Kunst markiert.
Dabei sind die Materialien, aus denen diese Arbeiten gefertigt sind, meist alles andere als exotisch. Für die zahllosen, wie kleine Speere anmutenden, eingefärbten oder gemusterten  Papierstäbe, aus denen einige Objekte gefertigt sind, arbeitet die Künstlerin etwa vorzugsweise mit alten Zeitungsseiten. Diese, so erzählt sie, könne sie am besten rollen und mit Kleister verkleben. Oder die auf eine Pavatexsäule montierten Objekte im Souterrain sind ursprünglich Agenden, die Margrit Schärli, wie sie sagt, „geschwärzt“ und anschliessend gefaltet hat. Man kann also festhalten, in diesem Werk wird oft das Alltägliche, das Arme, ja bisweilen sogar der Abfall ins Exotische und Fantastische verwandelt. Schön lässt sich diese Erkenntnis auch an der Arbeit mit den getrockneten Rosen zeigen. Hier war ein Naturprodukt der Ursprung, von dem weitere Exemplare zugekauft wurden, nachdem die Idee für ihre Weiterverwendung sich entwickelte. Der Clou dieser Weiterverwendung bestand nun darin, dass die Künstlerin die Naturmaterialien so geschickt mit ihren eigenen Materialien verwob und vernähte, dass die Grenze zwischen realem Gegenstand und menschlicher Erfindung nicht mehr klar zu ziehen ist.

 

Landkarten
Und hier, bei diesem letzten Gedanken, deutet sich wiederum eine Verbindung zu Roland Schär an. Auch er geht, wie gezeigt, von vergleichsweise einfachen Bildnotizen aus, die sich dann im Verlauf der Weiterbearbeitung zu magisch wirkenden Konstellationen verdichten. Dazu kommt aber noch ein anderer Aspekt. Durchgängig sind in diese virtuellen Radierungen, wie sie der Künstler auch nennt, rasterartige Linien eingeschrieben, die sich als Struktur über die organischen Gebilde legen, sie unterbrechen oder sie, in ausgefüllter Form, mit sehr grafisch anmutenden Elementen verbinden. Die Raster überraschen eigentlich nicht, wenn man weiss, dass der Computer bei diesen Arbeiten mitgezeichnet hat, aber sie können einen zunächst irritieren, weil sie ein wenig an technisches Zeichnen erinnern. Wenn man aber weiter assoziiert, eröffnen sie immer komplexere Bedeutungsfelder. So kann man zum Beispiel an Landkarten denken, innerhalb derer die naturhaften Gebilde konvexe und konkave Erhebungen und Senkungen bilden, oder an Vitrinen, in denen sich, wie in der frühen Neuzeit, allerhand Kurioses angesammelt hat, oder an Computerdarstellungen der Medizin, die eine Art intime Geografie mit Wegen, Kanälen, Verknüpfungen und Verknotungen ins Bild setzen. Etwas abstrakter kommt diesen Rasterlinien noch eine andere Bedeutung zu: sie bringen die Formen des Künstlers dazu, vorgegebene Räume zu respektieren oder diese zu sprengen – eine Fragestellung, die sich durchaus auch auf andere Lebenszusammenhänge übertragen lässt.

Verknüpfen und Montieren
Nach einer gemeinsamen Zeit in Laos und einer ersten Doppelausstellung in der Art Station vor drei Jahren: was haben sich die beiden Kunstschaffenden hier und heute zu sagen? - Ich glaube, es ist die Art, wie sie den Raum bespielen, was die beiden verbindet. Während wir im einen Werk einen Prozess von beiläufigen Zeichnungen über eine Art Grundbauelemente in den physischen Raum beobachten, ist es im anderen die Tätigkeit des Sammelns, Festhaltens, Scannens, Veränderns und Montierens in einem virtuellen und auf Papier gedruckten Raum. Das eine sind Objekte, die wir auch auch als Zeichnungen im Raum beschreiben könnten, das andere sind Zeichnungen, die das Potenzial von Objekten haben. Beide Künstler sind Arrangeure des Kleinteiligen und des Grosszügigen, die nie ganz fertige Werke abliefern – vielmehr sind sie Gestalter von hybriden und modulartigen Gebilden, die das, was sie an dieser Welt interessiert, verbildlichen und die aus dem gewonnenen Material eine Art Inventar (wie es Roland Schär nennt), schaffen, das hilft, auf dem Umweg über die Ästhetik die reale Welt mit neuen Augen zu sehen.

Ich hoffe, dass dieser Umweg Sie ebenfalls inspiriert und wünsche Ihnen weiterhin viel Vergnügen an der Vernissage.

Adrian Bättig, März 2012

 

 

 

 
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